Um die Jahrtausendwende herum nahm sich die deutsche Politik vor, Frauen allgemein und Prostituierte im Besonderen besser zu schützen. Über zwanzig Jahre später ist klar: Ihr Vorhaben ist misslungen. Obwohl die Liberalisierung der Prostitution in Deutschland in wohlwollender Absicht geschah – auch um die Emanzipation von Frauen voranzutreiben – steht fest, dass Deutschland heute als „Paradies für Menschenhändler“ gilt und Zwangsprostitution weit verbreitet ist.
Prostitution legalisieren oder nicht: A never ending story
Mit dem Prostitutionsgesetz wollte die damalige rot-grüne Regierung die rechtliche Stellung von Prostitution als Dienstleistung regeln und damit das Leben der Prostituierten in Deutschland verbessern. Auf den ersten Blick klingt das Gesetz nach einer Lösung für ein konkretes Problem, doch hierbei geht es um mehr als nur Politik und Gesetzgebung. Im Grunde schwingen bei der Diskussion um Prostitution einige Fragen immer mit: Darf ich mich auf Kosten Anderer vergnügen? Darf ich für Sex Geld ausgeben? Wo sind die Grenzen der Freiheit und wer ist dafür verantwortlich diese einzuhalten, der Staat, das Individuum oder beide?
Das deutsche Prostitutionsgesetz von 2002 steht im Gegensatz zum schwedischen Sexkaufverbot, das seit 1999 gilt. Interessant dabei ist, dass Schweden in Europa in der öffentlichen Meinung generell eine sozialliberale Vorreiterrolle zugesprochen wird, die sich in hohen demokratischen Standards, großer Freiheit in vielen Lebensbereichen und einem sehr guten Sozialsystem widerspiegelt. Ausgerechnet in Schweden werden also nun seit über zwei Jahrzehnten Freier bestraft, die Sex mit Prostituierten kaufen wollen, während in Deutschland aber auch anderen europäischen Ländern wie Italien oder Spanien Prostitution weitgehend oder völlig legal und kaum reglementiert ist.
In anderen Ländern wie Österreich wiederum ist Prostitution legal, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Wenn man auch noch berücksichtigt, wie viele unterschiedliche Meinungen, Theorien, Studien und Analysen zum Thema Prostitution im Umlauf sind, und darüberhinaus in die Geschichte blickt, wird klar, dass es keine einfachen oder moralisch zweifellos richtigen Antworten gibt. Klar ist allerdings, dass das deutsche Prostitutionsgesetz in guter Absicht negative Konsequenzen zur Folge hatte.
Prostitution in der heutigen Form widerspricht dem deutschen Grundgesetz
Durch die Gesetzgebung ist die Sexindustrie seit der Jahrtausendwende in Deutschland gewachsen wie kaum anderswo. Die Rede ist von rund 15 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, die großteils von Menschen erwirtschaftet werden, die sich gegen ihren Willen oder zumindest mangels Alternativen prostituieren müssen. Die Schattenseiten wirtschaftlicher Entfesselung gepaart mit offenen Grenzen, sind in einem jahrzehntelangem, starkem Anstieg an Menschenhandel zu finden, der ab und zu in den Medien durchsickert, wenn zum Beispiel auf österreichischen Autobahnen Lastwägen voller Menschen aus dem Verkehr gezogen werden. Auch viele Frauen, die in Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland gekommen sind oder noch kommen, werden Opfer von Ausbeutung und geraten in Abhängigkeitsverhältnisse, aus die sie kaum mehr herauskommen.
Auch wenn es keine genauen Zahlen gibt, bestehen keine Zweifel, dass ein Großteil der Frauen, wenn es ihnen möglich wäre, ihren Lebensunterhalt anders verdienen würde, als mit Prostitution unter starker Abhängigkeit und Kontrolle ihrer Zuhälter. Selbst wenn, und das kann niemand bezweifeln, es auch Frauen gibt, die freiwillig und gern Sexarbeit betreiben, gleicht das in keiner Weise das Schicksal all der Menschen auf, die sich der Zwangsprostitution unterwerfen müssen und unter den derzeitigen gesetzlichen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen leiden, während andere von ihnen profitieren.
Laut einer neuen Studie ist die derzeitige Gesetzgebung zu Prostitution in Deutschland sogar verfassungswidrig. Im ersten Artikel des deutschen Grundgesetzes steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Die Würde von Katharina M. wurde jahrelang weder vom Staat noch von ihrem Umfeld geschützt oder geachtet. Teile ihres Lebens wurden im Buch „Schneewittchen und der böse König“ von Barbara Schmid geschildert, in dem von geschätzt 25.000 „Kunden“ die Rede ist, die in Katharinas Erinnerung zu einer grauen, düsteren Masse verschwinden. Was im Buch erzählt wird, ist teils unaussprechlich. Dass ein Schicksal wie ihres, von denen es heute viel zu viele gibt, mit einem würdevollen Leben nicht im Entferntesten etwas zu tun hat, dürfte sich von selbst verstehen.
Elke Mack von der Uni Erfurt kommt zum Schluss, dass in der Prostitution Menschen zu Objekten degradiert werden und Autonomie für Prostituierte nicht gewährleistet ist. Im Sinne des Grundgesetzes ist die Autonomie und, dass der Mensch nicht zum Objekt gemacht werden darf aber Ausdruck der Würde des Menschen. Laut den Befragungen Macks gehen staatliche Behörden davon aus, dass 90 bis 95% der in der Prostitution Tätigen das nicht freiwillig tun, dabei geht es fast ausschließlich um Frauen. Macks Fazit ist: Es geht bei der Frage, wie wir mit Prostitution umgehen nicht um Moral, sondern um die Einhaltung von Grundrechten. Die Rechte von Prostituierten im Rahmen legaler Prostitution zu gewährleisten, sei aus Sicht des Rechtsstaates eine Illusion gewesen.
Sexkaufverbot als Konsumbeschränkung – wie geht es weiter?
Bei allen Vor- und Nachteilen scheint die Idee des Sexkaufverbots, das vor einigen Jahren auch in Frankreich und Irland umgesetzt wurde, einen interessanten Aspekt zu beinhalten, der auch auf andere Bereiche übertragen werden könnte. In aller Kürze gibt es das Sexkaufverbot, weil Menschen, in diesem Fall in der Regel Männer, ihre Machtposition ausnützen um sich an anderen Menschen, in diesem Fall in der Regel Frauen, zu bereichern. Sowohl der Zuhälter als auch der Freier sehen in der Prostituierten eine Ware, an der sie sich bereichern können, der eine finanziell, der andere durch Lustgewinn. Zu unterstreichen ist, dass das in den allermeisten Fällen gegen den Willen oder mangels Alternativlosigkeit zu Ungunsten der Prostituierten passiert, nebenbei sei erwähnt, dass es allein in Deutschland zwischen 250.000 und 500.000 Prostituierte gibt.
Die Frage, die sich nun stellt ist folgende: Der durchschnittliche, moderne, westliche Lebensstil ist voll von Abhängigkeitsverhältnissen, die im Unterschied zur Prostitution nicht so explizit und direkt erfahrbar oder bemerkbar sind. Ein Griff zur Schokoladentafel im Supermarkt ist ein Schlag gegen Kinder in der Kakaoproduktion in Ghana, und das Tippen am Handy sorgt dafür, dass auch in Zukunft Menschen – in diesem Fall hauptsächlich Männer – in Kobaltminen im Kongo für unsere Akkus sterben werden. All das passiert wirklich, doch das meiste bekommen wir nicht zu Gesicht. Wir, in unserer Rolle als Konsumenten, sehen nur die Ware (und all die Werbungen und Geschichten, die sie uns schmackhaft machen sollen) die wir begehren. All das Leid, das dahintersteckt, nehmen wir in Kauf oder kümmern uns nicht darum. In diesem Punkt unterscheiden wir uns nicht vom Freier, der ins Bordell geht, an seine Bedürfnisse denkt und glaubt, er kann mit einer Frau machen was er will, weil es sein Recht ist, solange er dafür bezahlt. Mit dem Sexkaufverbot wird die Freiheit, Bedürfnisse nach seinen eigenen Vorstellungen zu befriedigen eingeschränkt. Es zeichnet sich ab, dass der Staat in dieser Richtung zukünftig öfter regulierend eingreifen könnte, doch wie und warum er es tut, bleibt in vielen Fällen unklar und lässt nicht zu Unrecht vermuten, dass in vielen Fällen Macht- und Wirtschaftsinteressen die tragenden Entscheidungskriterien für staatliches Handeln sind – und nicht die Wahrung der Menschenwürde. Die Corona- und Klimakrise sind gute Anlässe für Verbote, doch die Ausbeutung von Rohstoffen, anderen Menschen und ihrer Arbeitskraft sind es nicht? Wo wird die Würde des Menschen geachtet, wenn wir Produkte konsumieren, die von Menschen für Hungerlöhne produziert werden und die wir nach zwei Wochen wegwerfen, weil wir auf der Welle eines neuen Trends reiten wollen? Dass künftig Konsum weitläufig verboten wird, der zum Leid Anderer stattfindet, ist undenkbar, zeigt aber auch, wie weit wir es geschafft haben. Die menschliche Entwicklung dürfte auf ihrem Höhepunkt sein, wenn so eine Forderung komplett unrealistisch scheint.
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