Inzwischen kennen wir sie alle: dubiose E-Mails, die regelmäßig unseren Posteingang verstopfen, seltsame Anrufe, die angeblich von Europol und Co. stammen, sowie Fake-Profile in den sozialen Netzwerken, die sich fremde Identitäten zu eigen machen und versuchen auf diese Art und Weise an unsere Daten zu kommen. Die Maschen der Betrüger sind verschieden. Schon seit Jahren steigt die Internetkriminalität stetig an und immer wieder werden ahnungslose Opfer um ihr Erspartes gebracht. Allein in Österreich beträgt der Schaden durch Onlinebetrug jährlich mehrere Millionen Euro. Es ist demnach kein Wunder, dass Online-Betrüger pauschal verteufelt werden. Was viele nicht wissen: Viele Cyber-Betrüger sind selbst Opfer von Menschenhandel und Zwangsarbeit und werden gegen ihren Willen dazu genötigt diese Betrügereien durchzuführen.
Die Betrugsfabriken
Seit Jahren werden laut Mina Chiang, Gründerin der Menschenrechtsorganisation Humanity Research Consultancy, zehntausend bis hunderttausend Menschen dazu gezwungen, ahnungslosen Internetnutzern auf der ganzen Welt das Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Betrüger kommen vorwiegend aus China, Indien, Bangladesch, Malaysia, Indonesien, Vietnam oder Taiwan. Angelockt werden sie häufig durch lukrative Berufsaussichten – vorwiegend in Kambodscha, Laos und Myanmar. Doch die traumhafte Möglichkeit nach einem besseren Leben entpuppt sich schnell als Albtraum: Einmal angekommen, werden den Arbeitskräften sowohl Reisepässe als auch andere persönliche Dokumente abgenommen und sie sitzen in der Falle. Die – meist illegale – Einreise wird ihnen in Rechnung gestellt, die sie dann „abarbeiten“ müssen.
Die Zwangsarbeiter werden in großen, leerstehenden Gebäudekomplexen, sogenannten „Scam“ oder „Fraud Factories“, einquartiert und gezwungen Fake-Profile bei Twitter, Facebook, Instagram und sonstigen sozialen Plattformen anzulegen. Im nächsten Schritt sollen sie das Vertrauen diverser Internetnutzer aus wohlhabenden Ländern – allen voran Europa, Kanada und Nordamerika – erschleichen. Das Ziel sind meist die Telefonnummern ihrer ahnungslosen Opfer. Anschließend sollen sie diese dazu überreden, ihnen entweder Geld über einen Zahldienst zu überweisen oder in angeblich todsichere Aktiengeschäfte und Kryptowährungen zu investieren. Die Betrugsmasche ist auch unter dem Namen „Pig Butchering“ bekannt, bei der die zahlreichen Opfer wortwörtlich ausgenommen werden wie ein geschlachtetes Sparschwein. Tausende verlieren auf diese Weise ihr gesamtes Hab und Gut. Hinzu kommt, dass zynische Bemerkungen, sowie Hohn und Spott ihrer Mitmenschen über die Naivität der Opfer eine Aufarbeitung derartiger Fälle zusätzlich erschwert.
Geschlagen, Weggesperrt und zu Überstunden gezwungen
Doch diejenigen Personen, die in den streng bewachten Betrugsfabriken sitzen und Menschen wie am Fließband betrügen, sind selbst Opfer. Zehntausende Arbeitssklaven werden Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Humanity Research Consultancy zufolge in derartigen Komplexen festgehalten. Die Behausungen sind überfüllt und die hygienischen Bedingungen dementsprechend katastrophal. Die meisten Arbeitssklaven sind zwischen achtzehn und dreißig Jahre alt, wobei es auch Berichte von gerade einmal 14-jährigen Zwangsarbeitern gibt. Wer die gewünschten Daten nicht rechtzeitig liefert, wird bestraft. In den Fabriken wird fast ausschließlich nachts gearbeitet, zwischen 17.30 Uhr und 6.30 Uhr morgens. Das sind die Zeiten, zu denen die meisten User auf den Online-Plattformen aktiv sind. Werden die vorgegebenen Ziele nicht erreicht, kommt es auch häufig vor, dass die Arbeiter zu Überstunden gezwungen werden. Demnach berichtete ein ehemaliger Zwangsarbeiter namens Salam darüber, dass er regelmäßig bei nicht rechtzeitiger, nicht vollständiger oder fehlerhaft erbrachter Leistung ohne Pause bis zu 18 Stunden am Tag arbeiten musste. Auch körperliche und seelische Misshandlungen sind keine Seltenheit. Salam berichtet hier beispielsweise von körperlichen Strafen in Form von Liegestütze, Ellenbogenstütze bis hin zu Schlägen und Elektroschocks. Die Menschenrechtsorganisationen Humanity Research Consultancy und Human Rights Watch dokumentierten zudem Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug sowie Zwangsprostitution, Vergewaltigung und Organhandel.
Natürlich gibt es Internetbetrüger, die sich lediglich selbst bereichern wollen. Aber Menschen wie Salam, die in ostasiatischen Betrugsfabriken gefangen gehalten werden, machen dies nicht aus Vergnügen, sondern weil sie müssen. Sie sind moderne Sklaven, im wahrsten Sinne des Wortes. Der ehemalige Zwangsarbeiter Salam wurde im Laufe seines Lebens drei Mal an andere Menschenhändler weiterverkauft, zuletzt für 10.000 Dollar.
Aber wer steckt hinter den „Scam Factories“?
Der Großteil der bekannten Betrugsfabriken befindet sich nach wie vor in Myanmar und Kambodscha, vor allem in dessen Sonderwirtschaftszone: Sihanoukville. Dort haben sich im letzten Jahrzehnt Gangs und ähnliche Banden mit mafiaartigen Strukturen niedergelassen. Schnell wurden Gewalt und Kriminalität zum Alltag des ehemals friedlichen Küstengebiets. Das Spektrum ihrer Straftaten ist breit: illegales Glückspiel, Korruption, Prostitution, Drogen-, Waffen-, Wildtier- und Menschenhandel. Schließlich, mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2019 waren nicht nur Unternehmen gezwungen, ihre Arbeitsweise erheblich umzustellen – auch die kriminellen Organisationen passten sich an. Schnell wurde ein neues Geschäftsmodell entwickelt, um trotz des Touristenmangels Profit zu schlagen: Online-Betrug im industriellen Ausmaß.
Und die Politik?
Die Hintermänner der Scam-Fabriken zu belangen ist schwierig bis gar unmöglich. In der Regel sind die Besitzer der Gebäudekomplexe sehr eng mit den regionalen Machtstrukturen verknüpft. Dies führte dazu, dass Kambodscha im Juli 2022 im jährlichen Menschenhandels-Bericht des US-Außenministeriums auf die Schwarze Liste gesetzt wurde. Erst nachdem die internationale Aufmerksamkeit für das Thema zunahm, kündigte der Hun Sen, der seit 1985 amtierende Premierminister von Kambodscha, einen intensiveren Kampf gegen die Rädelsführer an. Im September des gleichen Jahres wurden in der kambodschanischen Küstenstadt Sihanoukville mehrere Razzien durchgeführt, sodass es schließlich zur Befreiung von mehr als 1000 Menschen aus drei verschiedenen Einrichtungen kam.
Doch das reicht noch lange nicht aus, um die Notstände in der kambodschanischen Küstenstadt zu beheben. Die Menschenrechtler Phil Robertson und Mina Chiang fordern daher tiefgreifende Sanktionen der internationalen Staatengemeinschaft gegen die beteiligten Länder, um diesem schmutzigen Geschäft ein Ende zu setzten.
So schützen Sie sich gegen den Internetbetrug
Dennoch verursachen die Scam-Fabriken in Südostasien nach wie vor enorme Schäden. Internetbetrug in diesem Ausmaß floriert noch immer. Das liegt daran, dass viele Menschen nicht wissen, welche Betrugsmaschen es gibt und dadurch auf die Tricks der Betrüger hereinfallen.
Die häufigste Betrugsmasche, welche von den „Fraud“-Fabriken viel zu oft erfolgreich angewendet wird, ist das „Pig-Butchering“. Dabei geht es darum, mögliche Opfer über vorgetäuschte Freundschaften oder Liebesbeziehungen emotional an sich zu binden, um ihnen nach einiger Zeit das Geld aus der Tasche zu ziehen. Um mögliche Betrüger zu erkennen, sollte daher auf folgende Warnsignale geachtet werden:
- Oft sind die Scammer sehr charmant und machen schnell Liebesbekundungen.
- Häufig verstecken sich die Betrüger hinter ihrem Online-Profil – einem Videochat oder realen Treffen wird, so gut es geht ausgewichen.
- Ihre Bekanntschaft spricht über angeblich lukrative Geschäfte oder “todsichere” Investitionen, meist in Verbindung mit Kryptowährungen. Sollte ihr Schwarm damit beginnen, beenden Sie lieber den Kontakt.
- Seien Sie immer vorsichtig, wenn Online-Bekanntschaften direkt um Geld bitten.
- Sie sollten darauf achten, niemanden Informationen über Ihre finanzielle Situation zu offenbaren, auch nicht indirekt, beispielsweise wenn Sie Ihrem Schwarm von teuren Hobbys, Urlauben o.ä. erzählen.
Natürlich ist die Pig-Butchering Methode nicht die einzige Art des Internetbetrugs. Cyberkriminalität hat viele Formen, weshalb es wichtig ist, immer auf der Hut zu sein. Weitere Erklärungen zu aktuellen Betrugsarten und wie Sie sich davor schützen können finden Sie auf der Website der Arbeiterkammer, sowie auf der Watchlist Internet.
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