Ob in Glitzerkosmetika, Kinderzahnpasta oder Autolacken: Mica ist das Mineral, wenn es darum geht, Schimmer in Produkte zu bringen. Dass dabei Kinderarbeit im Spiel ist, interessiert die wenigsten. Hauptsache, es glänzt schön. Warum Mica so ein Problem in der Gesellschaft und Industrie ist, erfährt ihr in diesem Artikel.
MICA, DAS GLITZERMINERAL – NICHT NUR IN KOSMETIKA
Mica ist eine Bezeichnung für „Glimmer-Mineralien“, zu welchen unter anderem auch Granit, Sandstein oder Marmor gehören. Das Mineral glitzert von Haus aus und ist daher vor allem in der Kosmetikindustrie sehr beliebt. Ob Rouge, Puder, Lippenstifte, Lidschatten oder Nagellacke: Wo es glänzt, ist meistens Mica enthalten. Wer denkt, dass Mica ein alleiniger Inhaltsstoff der Kosmetikindustrie ist, der irrt. Das Glitzermineral findet sich in vielen anderen Produkten des täglichen Bedarfs wieder. So findet man die Partikel etwa auch in glänzenden Handys, Computern, Haushaltsgeräten, Farben und Lacken. Sogar einen praktischen Nebeneffekt bietet es: Es isoliert Hitze und Strom und kann als Füllstoff verwendet werden.
ILLEGALER ABBAU UNTER KINDERUNWÜRDIGEN BEDINGUNGEN
Den Preis für den schimmernden Lidschatten zahlt – wie in so vielen Fällen – nicht der Endkonsument. Vielmehr sind es die abertausenden Menschen, die tagtäglich in Minen Mica abbauen. In mehr als 35 Ländern wird Mica geschürft. Indien ist dabei einer der größten Exporteure; sind Arbeitslöhne und Abbaukosten hier am geringsten. Der meist illegale Abbau macht nicht einmal vor Kinderarbeit halt. Bis zu 22.000 Kinder bauen täglich Mica ab. Allein in Indien. Bis zu 12 Stunden in brütender Hitze und mit wenig Wasser schürfen die Kinder Steine, sortieren den Bruch nach Größe und holen meist mit kleinen Körben das Mineral aus selbstgegrabenen Löchern von bis zu 20 Metern Tiefe. Die jüngsten Kinder sind gerade einmal vier Jahre alt. Deren Eltern haben keinerlei Möglichkeit der Betreuung und nehmen die Kinder daher mit zu den Minen. Selbst Säuglinge sind zu sehen, meist ist die Mutter auf sich allein gestellt und muss mehrere Kindermägen ernähren. Der Hunger ist ein schlimmer Begleiter und zwingt ganze Familien zur illegalen Arbeit.
KINDER SIND STAUB, HITZE UND KRANKHEITEN AUSGESETZT
Dass diese Arbeit für die Kinder nicht ohne Folgen bleibt, liegt auf der Hand. Bei bis zu 45 Grad Hitze, ohne Schatten, umgeben von Tonnen an Staub, sind die Arbeitsbedingungen nicht nur körperlich kaum aushaltbar, sondern auch gefährlich. Die arbeitenden Kinder leiden etwa an Atemwegserkrankungen, Staublungen, Schnittwunden, eiternden Verletzungen und Dehydration, weil kein Wasser vorhanden ist. Eine hohe Zahl ist überdies anämisch und unterernährt. Auch Tuberkulose ist weit verbreitet. Seit Beginn der Pandemie hat die Arbeitsleistung in den illegalen Minen sogar zugenommen. Viele Schulen wurden geschlossen, Eltern hatten keine Gelegenheit die Kinder unterzubringen und nahmen sie deshalb mit in die Minen.
ARBEITEN, UM ZU HUNGERN
Der Dank für die stundenlange Plagerei sind Hungerslöhne im Cent Bereich. Zwischen 1 Euro und 1,50 Euro pro Tag erhalten ganze Familien für ihre Leistung. Bis zu 10kg pro Tag sortieren und schürfen die Kinder und leisten dadurch körperliche Schwerstarbeit mit ihren kleinen, zierlichen und abgemagerten Körpern. Das Geld reicht für die meisten Arbeiterfamilien nicht. Zum Leben bleiben nach Abgaben für Haus, Transport (der selbst von den Arbeitern zu leisten ist) und anderen Ausgaben zwischen 5-7 Cent pro Tag. Für eine mehrköpfige Familie. Das grenzt nahezu schon an sklavenähnliche Zustände.
TODESGEFAHR BEI EINSTÜRZEN
Die größte Gefahr liegt oft im Abbau. Gerade kleine, oft selbst gesprengte oder gegrabene Löcher sind besonders gefährlich. Hier werden die meisten Kinder eingesetzt, kommen sie – im Gegenzug zu den Erwachsenen – einfacher an die Steine und den Bruch heran. Doch hier lauert der Tod. Tausende von Kindern wurden bereits in solchen Löchern begraben. Zu schnell passiert es, dass Erde einstürzt, Brocken sich von den Wänden lösen und das Kind in dieser Gefahrensituation keine Fluchtmöglichkeit mehr findet. Je nach Tiefe des Lochs können Eltern nur tatenlos zusehen, wie ihr Kind unter den Massen an Erde, Sand und Staub langsam erdrückt wird und erstickt. Bei bis zu 20 Metern Tiefe kommt oft jede verzweifelte Rettungsaktion zu spät. Selbst dann, wenn alle anderen Arbeiter zur Hilfe eilen. Zurück bleibt Trauer und Verzweiflung ohne Ausweg.
Viele Unternehmen ohne Schuldzugeständnis
Die Qual, das Leid und die Ausbeutung gehen jeden Tag von Neuem los. Zu groß ist die Abnahme seitens der Konzerne. Zu undurchsichtig die Lieferketten. Zu groß der Druck, als Familie sich ernähren zu müssen. Zu klein die alternativen Perspektiven in Indiens Landregionen. Die Händler sind schlichtweg zu mächtig.
Das Konstrukt der Machenschaften ist dabei sehr ausgeklügelt. Die Händler erwerben immer wieder Zertifikate, um ihre Ware am internationalen Markt verkaufen zu können. Wie das Mica tatsächlich geschürft wird, interessiert dabei kaum jemanden. Die Nachverfolgung gestaltet sich für Polizei und Vollstreckungsorgane schwierig, zumal Minen bei Razzien innerhalb von Minuten verlassen sind und sie den Arbeitern selbst nicht die Schuld für den illegalen, ohnehin schon ausbeuterischen Abbau geben können. Die Familien haben ohnehin schon mit so viel Leid zu kämpfen. Die Polizei: Machtlos und entmutigt.
Viele internationale, produzierende Unternehmen sind sich über die Kinderarbeit in den Minen bewusst, tragen jedoch in keiner Weise zur Verbesserung der Bedingungen oder zum Einsatz von alternativen Stoffen in ihren Produkten bei. Zu günstig ist das Mica. Zu verlockend das schöne Schimmern der Lidschatten im Geschäftsregal.
UMDENKEN IN SICHT – KONSUMENTEN UND DIE INITIATIVE RMI (RESPONSIBLE MICA INITIATIVE)
Durch Dokumentation, Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit ist in den letzten Jahren zum Glück bereits einiges ins Rollen gebracht worden. Seitens Konsumenten ist ein Umdenken in Sicht. Viele Menschen beschäftigen sich immer mehr mit Inhaltsstoffen und der Herkunft, der Produkte. Der Druck an die Konzerne wird größer. Das Bewusstsein für schlechte Arbeitsbedingungen und die Pflicht als Unternehmen ebenso.
Bereits mehrere große Handelsketten haben sich deshalb gegen die Nutzung von Mica in ihren Produkten ausgesprochen und die Initiative „Responsible Mica Initiative (RMI)“ ins Leben gerufen. Bis 2023 wollen teilnehmende Unternehmen nur mehr Mica aus legalen Minen kaufen. Das Ziel ist dabei, durch die Beendigung des Kaufs die Lieferketten zu beenden und so langfristig für bessere Bedingungen und ausschließlich ethisch korrekten Abbau zu sorgen. Ob diese Theorie auch Anwendung findet und tatsächlich etwas ändert, bleibt abzuwarten. Zumal die Lieferketten selbst für gewiefte und geschulte Personen kaum nachvollziehbar sind.
Auch die Organisation Terre de Hommes setzt sich dafür ein, dass Kinder in Zukunft nicht nur überleben, sondern auch Leben dürfen und die Möglichkeit auf Bildung haben.
ALTERNATIVE IN SICHT: GLITZERPARTIKEL OHNE KINDERARBEIT
Auch erste, alternative Produkte sind in der Produktion eingesetzt. Einige Hersteller ersetzen Mica etwa durch synthetische Stoffe oder Zellulosepartikel. Selbst neuartige Bio-Kunststoffe, die abbaubar sein sollen gibt es bereits am Markt. Der Einsatz dieser Stoffe ist jedoch noch lange nicht in der Massenproduktion angelangt, sind diese Ersatze meist (noch) teurer als die weltweite Verschiffung von Mica von Händlern aus der ganzen Welt und somit auch die Ausbeutung von Kindern.
KAUFMACHT NUTZEN – KINDER SCHÜTZEN
Selbst, wenn man sich oft machtlos vorkommt, auch wir als Konsumenten können etwas gegen diese kritischen, ausbeuterischen Bedingungen tun. Wir selbst können bei jedem Kauf eines Kosmetikartikels einen Blick auf das Etikett wagen und kontrollieren, ob im neuen Nagellack, Kosmetikprodukt oder Elektrogerät Mica enthalten ist.
Ob ein Produkt den Mineralstoff enthält, erkennt man an der INCI-Nummer CI 77019. Die Kosmetikindustrie versucht oft erst gar nicht den Stoff zu vertuschen. In vielen Fällen findet man in der Inhaltsstoffliste sogar direkt das Wort Mica angeführt.
Wenn man also die Wahl zwischen einer Mica freien Alternative oder der Förderung von Kinderarbeit durch illegalen Abbau hat, dann lieber das nächste Mal zu ersterem greifen. Durch geringe Nachfragen bei kritischen Produkten und einem Mehr an Nachfragen bei ethisch korrekten Produkten, können wir langfristig für das Aussterben von Kinderarbeit in Mica-Minen sorgen und so sicherstellen, dass auch diese Kinder Schulbildung genießen und somit den Grundstein für ihre Zukunft legen können.