Menschenhandel: Können wir dem Recht auf Sicherheit gerecht werden?

Opfer von Menschenhandel sind meist schwer traumatisiert, besitzen weder Papiere noch Perspektive, dafür aber große Angst. Sie benötigen viel Unterstützung in unterschiedlichen Bereichen, an erster Stelle jedoch eine sichere Unterkunft, um endlich durchatmen zu können. Allerdings ist das nicht ganz einfach.

„Eine der Frauen in unserem Schutzhaus kommt aus Nigeria. Als sie in Deutschland ankam, lief sie schwanger, verzweifelt und weinend einer ehemaligen Bewohnerin unseres Schutzhauses in die Arme. Mitten am Karlsruher Hauptbahnhof. Sie war soeben vor den Leuten geflohen, welche sie unter falschen Versprechungen nach Europa gelockt und in Italien zur Prostitution gezwungen hatten. In unserem Schutzhaus haben sie und ihr Baby eine Heimat gefunden. […]“

So beginnt ein Bericht des Karlsruher gemeinnützigen Vereins The Justice Project e.V., der unter anderem Opfer von Menschenhandel zur sexualisierten Ausbeutung und sexualisierter Gewalt unterstützt.
Angeschlossen an deren „Beratungsstelle OASE“ ist ein offiziell anerkanntes Schutzhaus. Darin können sieben Frauen mit ihren Kindern eine sichere Unterkunft finden. Die Opfer, die hauptsächlich aus Nigeria stammen, werden oft in Flüchtlingsunterkünften entdeckt. Neben Schutz wird ihnen Begleitung bei Asylverfahren, Traumaarbeit, Integrationsmaßnahmen, Rückfallprävention und vor allem Erholung geboten. Die Frauen bleiben ungefähr ein Jahr, bevor sie ein eigenständiges Leben führen können.

Betroffene von Menschenhandel und Ausbeutung haben ein Recht auf eine sichere und geeignete Unterbringung. Diese ist eine wichtige Voraussetzung, um sich zu erholen und zu stabilisieren, aber vor allem, um sich sicher fühlen zu können. Dafür muss die Unterkunft natürlich andere Kriterien erfüllen als Asyl- oder Obdachlosenheime. 

Die meisten Opfer gelangen über Fachberatungsstellen, wie die hier vorgestellten, über die Polizei oder medizinische Einrichtungen in sichere Unterkünfte. Einige dieser Beratungsstellen unterhalten eigene Schutzhäuser, meist werden Betroffene aber in Frauenhäusern, zeitweise auch in Pensionen untergebracht, falls dies finanzierbar ist. 

Laut der österreichischen Task Force Menschenhandel haben Opfer „Anspruch auf Unterstützung und Betreuung, sobald die zuständigen Behörden Grund zur Annahme haben, dass sie von Menschenhandel betroffen waren oder es immer noch sind. Das Recht auf Unterstützung und Betreuung umfasst allgemeine Betreuung und psychosoziale Unterstützung sowie das Recht auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung. […] Der Anspruch auf Unterstützung und Betreuung darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob das Opfer bereit ist, bei den strafrechtlichen Ermittlungen, der Strafverfolgung oder dem Gerichtsverfahren zu kooperieren.“

Katharina Beclin, Koordinatorin und Sprecherin der österreichischen „Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel“, klagt allerdings an, dass für der Zugang zu den laut Europaratskonvention grundlegenden Opferrechten eine offizielle Identifizierung als Opfer notwendig sei. Das Problem dabei ist, dass diese Opferfeststellung in Österreich nur von der Polizei durchgeführt kann und eine Aussage oder Anzeige voraussetzt. 

„Da die meisten Opfer – zumindest anfangs – psychisch dazu nicht in der Lage seien, bleibe ihnen der Zugang zu vielen ihnen aufgrund internationaler Konventionen zustehenden Rechten verwehrt. Damit nicht genug, sei daran zumeist auch die Frage des Aufenthaltsrechts geknüpft, das wiederum Voraussetzung für eine Arbeitserlaubnis ist. Betroffene würden daher oft Scheinselbstständigkeit oder Prostitution als letzten Ausweg sehen – was ihre Situation weiter verschlimmert.“

Die Lage in Deutschland ist ähnlich – in vielen deutschen Bundesländern verlangt die Ausländerbehörde eine „Bestätigung der Opfereigenschaft“ durch die Polizei oder Staatsanwaltschaft.

SOLWODI – Solidarity with women in distress/Solidarität mit Frauen in Not ist eine international tätige Organisation, die in Wien ein Schutzhaus führt.
SOLWODI Österreich setzt sich für die Rechte von Frauen mit Migrationshintergrund ein, die Menschenhandel, Zwangsprostitution oder andere Formen der Gewalt erfahren mussten. Das Schutzhaus in Wien nimmt Frauen mit Kindern bis zum sechsten Lebensjahr auf, unabhängig von Religion oder Staatsangehörigkeit.

„Die Frauen leiden unter psychischen Folgen, etwa posttraumatischen Belastungsstörungen, haben Angst, Schlaf- und depressive Störungen“, so Leiterin Anna Mayrhofer. Die meisten Frauen haben außerdem große Angst, gegen die Täter auszusagen. Die Aufnahme der Frauen verläuft daher unabhängig davon, ob sie mit den Behörden zusammenarbeiten. Vermittelt werden sie u. a.  von Streetworkern, NGOs, dem Gesundheitsamt oder kirchlichen Organisationen.

Opfer von Menschenhandel haben in Österreich dreißig Tage „Erholungs- und Bedenkzeit“, um sich von den Geschehnissen zu erholen und zu überlegen, wie es weitergehen soll. Während dieser Zeit können sie nicht abgeschoben werden. Die Opfer werden über ihre Rechte und Möglichkeiten aufgeklärt, wie Prozessbegleitung, Deutschunterricht, Entschädigung und darüber, dass sie einen Aufenthaltstitel für zumindest ein Jahr erhalten können. Während dieser Zeit erhalten sie Leistungen aus der Grundsicherung.

In Deutschland dauert die „Bedenk- und Stabilisierungszeit“ mindestens drei Monate, „unabhängig davon, ob sie eine Aussage bei der Polizei gemacht haben oder nicht.“  Sie gibt den Opfern ebenfalls Zeit, um Abstand von Tätern und Erlebtem zu gewinnen, sich über ihre Möglichkeiten zu informieren und um sich dann zu entscheiden, ob sie gegen ihre Täter aussagen möchten. Währenddessen können sie ebenfalls nicht abgeschoben werden und erhalten Sozialleistungen.
Aber, wie bereits erwähnt, verlangen die Ausländerbehörden eine amtliche Opferfeststellung innerhalb genau dieser Erholungszeit, um überhaupt das Recht auf eine sichere Unterkunft zu erhalten.

In Deutschland gibt es kein einheitliches System. Der Bund gibt den gesetzlichen Rahmen vor, innerhalb dessen die Bundesländer agieren können. Die meisten Bundesländer erhalten vom Bund und/oder den Kommunen Gelder für die Unterbringung Betroffener. Manche haben einen Fonds eingerichtet, aus dem auch eine kurzfristige Unterbringung, wie z. B. in einer Pension, finanziert werden kann. Meist ist das Geld aber nicht ausreichend und muss mit Spenden oder Eigenmitteln aufgestockt werden.

Ein verbreitetes Modell ist die „Tagessatzfinanzierung“. Dabei müssen die Opfer selbst bzw. die zuständigen Sozialleistungsträger für die Kosten aufkommen.
Wenn der Opfer- oder Aufenthaltsstatus nicht rechtsgültig geklärt ist, wird es allerdings problematisch mit der Leistungsübernahme. Oft werden sie dennoch von den Häusern aufgenommen, die versuchen, die Kosten durch Spendengelder zu decken

Sind die Schutzeinrichtungen voll, werden Frauen mit ihren Kindern – für die es unterschiedliche Altersgrenzen gibt – meist in Frauenhäusern untergebracht. Auch diese sind oft überfüllt. Manchmal kann, je nach finanziellen Ressourcen, nach Individuallösungen gesucht werden.

Dann gibt es aber noch weitere von Menschenhandel betroffene Opfergruppen, wie Männer, Buben, Familien, transsexuelle Personen. Sie stellen eine große Herausforderung dar, die meist nur unzufriedenstellend gehandhabt werden kann. Denn selbst wenn Schlafplatz und Nahrung bereitgestellt werden können, benötigen die traumatisierten Opfer viel mehr als das.
In ganz Deutschland gibt es beispielsweise keine eigene Unterbringung für Betroffene männlichen Geschlechts. Meist werden sie in Flüchtlings- oder Obdachlosenheimen untergebracht, die natürlich die Kriterien einer sicheren Unterkunft bei weitem nicht erfüllen.

In Österreich gibt es immerhin eine Organisation, die sich um männliche Opfer kümmert. MEN VIA https://men-center.at/arbeitsbereiche/men-via/  ist eine Einrichtung des Wiener Männergesundheitszentrums MEN. „Die Hilfestellung durch MEN VIA umfasst Beratung, sichere Unterbringung, Begleitung in rechtlichen, medizinischen, psychologischen und sozialen Angelegenheiten und die Unterstützung bei der Zukunftsplanung.“

KAVOD, ganzheitliche Hilfe für Betroffene von sexueller Ausbeutung“ ist ein österreichischer Verein mit Fokus auf Zwangsprostitution und Menschenhandel. KAVOD versucht das Vertrauen mutmaßlicher Opfer über aufsuchende Sozialarbeit auf dem Straßenstrich, in Laufhäusern, Bordellen und Clubs in Wien und in der Steiermark zu gewinnen. Über ein rund um die Uhr besetztes Notfalltelefon kann jederzeit Hilfe angeboten werden, sei es medizinisch oder eine Unterbringung in einer Schutzunterkunft.

Sabine Kallauch, die Geschäftsführerin des Vereins, berichtet, dass viele Opfer aufgrund emotionaler oder sozialer Abhängigkeit oder Bedrohung nicht in der Lage sind, gegen ihre Täter auszusagen. Ohne Aussage würde man aber nicht als Opfer anerkannt werden.
„Wir als Plattform [gegen Menschenhandel] fordern von daher, dass den Betroffenen von Menschenhandel die vollen Opferrechte, insbesondere Aufenthaltsrecht, Grundsicherung bzw. Hilfe in besonderen Lebenslagen und Zugang zum Gesundheitssystem, unabhängig von einer Anzeige schon dann zustehen, wenn sie von einer spezialisierten NGO als Opfer von Menschenhandel identifiziert und betreut werden.“

Dies scheint ein weiser Ansatz zu sein, um den Opfern Verzögerungen oder gar Verweigerungen ihrer Rechte zu ersparen. Vor allem aber, damit sie zur Ruhe kommen können, ohne sich gleich den Behörden stellen zu müssen, ohne gleich eine gefürchtete Aussage tätigen zu müssen.
Und unabhängig davon muss ein sicherer „Platz für alle“ geschaffen werden – unabhängig von Alter, Geschlecht und etwaigen Spendengeldern.

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