Sie erinnern sich doch noch an die schöne Geschichte vom armen Mädchen, das so grosszügig war und obwohl es nur ganz wenig sein eigen nannte, alles an noch Bedürftigere verschenkte, vom Stückchen Brot über die Mütze, vom Mantel bis hin zum letzten Hemdchen und dann nackt im dunklen Wald stand . Bei den Brüdern Grimm geht die Geschichte gut aus: „….und obgleich sie erst ihr letztes Hemd weg gegeben hatte. trug sie jetzt ein neues Kleid aus feinstem Gewebe und unzählige Sterne fielen vom Himmel, die sich sogleich in glänzende Silbermünzen verwandelten. Von dieser Nacht an musste sie nie mehr Not leiden“.
VOM MÄRCHEN ZUR REALITÄT: “PRETTY WOMAN REVISITED“
Bei Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden, erfüllt sich das Märchen der Sterntalerin nicht. Wenn sie nackt vor ihren Freiern steht, gibt es keine Silbertaler. Auch schenkt ihr niemand ein neues Kleid aus feinem Gewebe. und selbst die „reizende“ Verfilmung von „Pretty woman“ als romantische Verkörperung des Lebens einer Prostituierten mit happy end ist eben ein Film. Und hat als solcher nichts, aber gar nichts mit dem Leben einer Frau zu tun, die zur Prostitution gezwungen wird und oft in ärmlicher Umgebung, im besten Fall jedoch einem halbwegs sauberen Raum, die Rolle der Sexarbeiterin zu erfüllen hat. Kunden, die nicht aussehen wie Richard Gere, sondern mitunter den nahezu unbezähmbaren Wunsch zum Davonlaufen auslösen, wollen Leistung für ihr Geld, den miserablen Lohn für körpernahe Dienstleistungen, bekommen. Und von diesem ohnehin bescheidenen Betrag bekommt zumeist der „Agent“, also „Beschützer“ seinen Anteil und auch das ärmliche Quartier muss bezahlt
werden. Kundenzufriedenheit und -frequenz zählt und beides ist nicht immer leicht zu erreichen. Unzufriedenheit bei Kunden oder verringerte Frequenz wird häufig mit Gewalt – physisch oder psychisch – beantwortet. Unpässlichkeiten oder Krankheit ist kaum leistbar und die unverschämten erzwungenen Anforderungen führen häufig zu Drogen- und Alkoholmissbrauch. Die Abwärtsspirale nimmt ihren Lauf.
REALITÄT: GEWÄHLT ODER ERZWUNGEN: WAS ICH MIT MEINEM UNTERLEIB TUE, ENTSCHEIDE ICH SELBST“
So spricht die „Luxus-Prostituierte“ Salomé Balthus, die sich ihrem selbstgewählten Aufgabengebiet gerne und freiwillig hingibt und mit einigen gleichgesinnten Frauen die Agentur Hetaera in Berlin betreibt. Die Stichworte sind eigene Wahl und freiwillig und in diesem Fall – wie es scheint – auch mit viel Freude und sehr guten Einnahmen. Der grosse Unterschied zur Zwangsprostitution liegt auf der Hand: „was ich mit meinem Unterleib tue, entscheide ich selbst“.
VON DER REALITÄT ZUM MÄRCHEN
Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden, entwicklen Muster, um mit dieser Art des Lebens überhaupt umgehen zu können. Vom einer Art Stockholm-Sydrom bis zur Selbstverachtung reicht das Spektrum. Es bedarf enormen Muts, sich der eigenen Situation, die für lange Zeit durchaus auch ambivalent erlebt werden kann, bewusst zu werden und sich mit den Gedanken des Ausstiegs auseinander zu setzen. Die Vorspiegelungen eines „Beschützers“ und das Eingestehen der gelebten Realität, aber auch die Vorstellungen vom schönen Leben durch den Verkauf des eigenen Körpers und das tägliche Erleben, dies auch real tun zu müssen, sind zumeist enttäuschend und eine unüberbrückbare Kluft zwischen Realität und Märchen tut sich auf. Angst vor Gewalt durch den „Beschützer“ ist häufig ein Hinderungsgrund, einfach auf und davon zu laufen. Davon zu laufen „wohin“ ist die nächste Frage. Und „womit“ die nächste. Nicht selten hat der „Beschützer“ in Ausübung seines Amts alle Dokumente seines Opfers an sich genommen und damit ist nahezu jeder Weg in die Freiheit versperrt, insbesondere, wenn man sich nicht im eigenen Herkunftsland befindet.
DER STEINIGE WEG
Und wie so oft im Leben ist es mitunter „der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt und eine Frau spielt mit dem Gedanken „auszusteigen“, „nicht mehr mitzumachen“, „dem Ganzen ein Ende zu setzen“. Der steinige Weg beginnt und kostet viel Kraft und ist mit Rückschlägen und Entbehrungen gepflastert. Ausgetretene Pfade zu verlassen ist mühevoll, auch wenn sie noch so mühsam waren. Neuorientierung, gut und schön, aber in welche Richtung? Auf bisherige „Freundschaften“ kann nicht mehr gezählt werden, vor dem edlen „Beschützer“ muss man sich schützen und wohin soll der neue Weg führen? Berufserfahrung „Prostituierte“ wird wohl selten für Bewerbungen förderlich sein und wer wird einem die
Hand reichen, um irgendwo Fuss fassen zu können?
Vom Märchen zur Realität: HOPE FOR THE FUTURE steht allen Betroffenen offen, um sie bei den Überlegungen zum selbstgewählten Ausstieg aus der Zwangsprostitution mit Rat und Tat zu unterstützen. Verständnisvolle Gespräche, wertvolle Informationen und respektvoller Umgang am Weg in die Freiheit sind gute Begleiter. HOPE FOR THE FUTURE ist der Anker für jene Frauen, die aus der Prostitution aussteigen und dazu Hilfestellung in Anspruch nehmen möchten.