Lieferdienste

Lieferdienste erleichtern Menschen zunehmend den Alltag. Die KundInnen erwarten, dass die Speisen warm und die Lebensmittel kühl und frisch bei ihnen ankommen. Bevor man genervt die Tür aufreißt, wenn die Wartezeit länger ausfiel, sollte man bedenken: FahrradzustellerInnen haben keinen einfachen Job, im Gegenteil. Während die jungen Lieferdienst-Unternehmen Geld scheffeln, riskieren die RiderInnen im Straßenverkehr ihr Leben, und das für einen Lohn von etwa 10 Euro die Stunde. Ihr Arbeitsalltag ist eine einzige Wettfahrt gegen die Zeit.

AUS LIEBE ZUM FAHRRAD?

Viele kennen diese Situation: Es ist Sonntagabend und man hat keine Lust, sich von der Couch wegzubewegen und zu kochen. Zum Glück kann man die rettende Pizza mit ein paar Klicks direkt nach Hause bestellen. Lieferservice auf Rädern ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch hinter dem frischgelieferten Gericht steckt ein menschenfeindliches, von Algorithmen gesteuertes Wirtschaftssystem, das die ArbeitnehmerInnen von solchen Lieferdiensten ausbeutet. Der Job der sogenannten „Rider“ bzw. „Riderinnen“ ist auch noch äußerst gefährlich. Das Risiko, dass sie wegen des Zeitdrucks in Unfälle verwickelt werden, ist hoch. Im August 2021 wurde ein Lieferando-Fahrer von einem SUV erfasst und ist darauf im Krankenhaus verstorben.

Die Lieferunternehmen schossen in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden. Lieferando ist bei uns wohl das bekannteste. Durch den Kauf von kleineren Lieferunternehmen hat sich Lieferando in vielen Gebieten ein Monopol geschaffen. Neu in den österreichischen Städten ist das Unternehmen „Flink“, das verspricht, Lebensmittel schnell und ohne Preisaufschlag ans Ziel zu bringen. Der Lieferdienst Gorillas, der in Deutschland schon weit verbreitet ist, wirbt damit, innerhalb von nur zehn Minuten Supermarktwaren nachhause zu liefern.

Durch die Covid-19-Pandemie und die zahlreichen Lockdowns wurde die ohnehin schon boomende Branche noch lukrativer. Die Unternehmen verkörpern ein urbanes, hippes Lebensgefühl und werben damit um neue MitarbeiterInnen. Auch die Freude am Fahrradfahren wird in den Werbeclips zelebriert.

DER HARTE ALLTAG DER RIDERINNEN

Aber wie sieht die Realität für die FahrradkurierInnen von solchen Unternehmen aus? Im Zuge einer Reportage hat Andrea Brack-Peña einen Selbstversuch durchgeführt. Drei Wochen lang versuchte sie sich als Lieferando-Fahrerin, um herauszufinden, ob die Gerüchte um die schlechten Arbeitsbedingungen stimmen. Ihr Fazit: Der Job ist wirklich knochenhart. „Wenn man pünktlich sein will und auf sein Geld kommen muss, darf eigentlich nichts schief gehen“, sagt sie. Das unverzichtbarste Arbeitsmittel ist das Smartphone, hierbei müssen die MitarbeiterInnen ihr Privates benutzen und auch ihre eigenen mobilen Daten verbrauchen. Die meisten verwenden auch ihr eigenes Fahrrad. Für Reparaturen muss man selbst aufkommen, es gibt nur eine kleine Verschleißpauschale in Form eines Amazon-Gutscheins – zumindest ist es bei Lieferando so, weiß Reporterin Brack-Peña aus erster Hand. Sie selbst hatte in den nur drei Wochen, in denen sie bei Lieferando arbeitete einen (zum Glück nur kleinen) Unfall, nach welchem eine Reparatur an ihrem Fahrrad nötig war. Die Reporterin klagt über den ständigen Zeitdruck. Die App informiert die RiderInnen über den Zeitpunkt, an dem das Essen bei der Kundin oder dem Kunden sein soll und wenn das Restaurant die Speisen nicht pünktlich aushändigt, hinkt man der Zeit gleich mal hinterher und versucht, sie durch schnelles Fahren aufzuholen.

DER ALGORITHMUS – EIN SEELENLOSER ARBEITGEBER

Die Voraussetzung für den Schichtbeginn ist das Einloggen in das System via App am Smartphone. Der Digitalpolitiker Yannick Haan meint, dass die MitarbeiterInnen von Lieferdiensten bewusst in die Einsamkeit geführt werden. Es wird das Gefühl vermittelt, sie seien auf sich allein gestellt. Die Aufträge der FahrerInnen werden vollständig von einem Algorithmus bestimmt. Ihr Smartphone schickt die RiderInnen zum Restaurant und darauf zur Kundin oder zum Kunden. Während der Fahrt wird navigiert, die App verzeichnet jede Bewegung. Somit ist auch messbar, mit welcher Geschwindigkeit die RiderInnen unterwegs sind, sprich sie sind vollständiger Überwachung ausgesetzt.

SELBSTSTÄNDIGKEIT UND EIGENES RISIKO

Seit 2020 gibt es in Österreich einen Kollektivvertrag für FahrradbotInnen, ein großer Meilenstein. Zählt man sich zu den Glücklichen, die fest angestellt sind, gibt es 1500 Bruttomindestlohn, Urlaubs-und Weihnachtsgeld, Kostenersatz für private Smartphones und Fahrräder. Die Arbeiterkammer weiß jedoch, dass auch diese Festanstellung meist einen Haken hat: Eine vertraglich festgelegte Rufbereitschaft. Diese Rufbereitschaft müsste eigentlich eigens entlohnt werden, dies ist aber oft nicht der Fall.

Bei Mjam zum Beispiel sind die RiderInnen freie Dienstnehmer, also selbstständig. Das bedeutet, sie haben keine Absicherung, etwa im Falle einer Krankheit. Ist man zu krank um zu arbeiten, fällt der Lohn ganz einfach aus.

DAS SCHWÄCHSTE GLIED

Das Geschäftsmodell der Lieferdienste ist ausbeuterisch. Die Unternehmen sollen unnatürlich rasch wachsen und an Wert gewinnen, deshalb investieren die GeschäftsführerInnen sehr viel Geld in Imagekampagnen. Anstatt die Firma allmählich aufzubauen, ist es das Ziel, schnell hohe Profite zu erzielen. Die ZustellerInnen haben davon nichts. Im Gegenteil, ohne ihre geringen Löhne wäre ein solch schneller Wachstum nicht möglich. Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre und Sozialpädagogik bedauert, dass bei so einer „Hyper-Wachstumsstrategie“ die ArbeitnehmerInnen, die am Ende der Nahrungskette stehen, die Leidtragenden sind. Die digitale Wirtschaft ist ein Geschäftsmodell, in das Millionen investiert werden, und am anderen Ende stehen die ArbeitnehmerInnen, mit denen um Cents gefeilscht wird.

WARUM IST DER JOB DANN SO BELIEBT?

Wenn der Alltag der FahrradkurierInnen so beschwerlich ist und sie nicht einmal gut bezahlt werden, warum entscheiden sich so viele junge Leute, bei Lieferando, Mjam und Co. zu arbeiten? Natürlich eignet sich der Job aufgrund der hohen Flexibilität für SchülerInnen und StudentInnen, weshalb es in der Branche eine hohe Fluktuation gibt, ein ständiges Kommen und Gehen von MitarbeiterInnen. Es gibt jedoch auch jene, die wenige Alternativen zu einem niederschwelligen Job wie diesen haben. Die Arbeit des Fahrradzustellers erfordert keine spezielle Ausbildung oder Vorkenntnisse, sowie wenig bis keine Deutschkenntnisse. Zudem sind viele Leute, die in der Gastronomie tätig waren und durch die Pandemie ihren Job verloren, bei Lieferdiensten gelandet. Gerade diese existenziellen Unsicherheiten machen sich die Unternehmen zu Nutze. Viele BotInnen haben schlichtweg keine Aussicht auf einen besser bezahlten, weniger riskanten Job. Viele, die bei Online-Lieferdiensten arbeiten, zählen zu den sogenannten „Working Poor“ also Menschen, die Vollzeit arbeiten, und dennoch nicht genug Geld zum Leben haben.

FORDERUNG NACH BESSEREN ARBEITSBEDINGUNGEN

Der Grund, warum sich die Arbeitsbedingungen nur sehr langsam verbessern ist einerseits die hohe Fluktuation. Die Leute, die den Job ohnehin nur vorübergehend ausüben, meinen, es lohnt sich für sie nicht, sich zu engagieren. Andererseits fürchten manche aus berechtigten Gründen um ihren Job. Letztes Jahr gingen einige FahrradbotInnen des in Deutschland populären Lieferdienstes „Gorilla“ in den Streik, ein paar wurden darauf kurzerhand entlassen. Die Streiks wären weder angemeldet noch gewerkschaftlich getragen gewesen und daher illegal, so die Begründung.

Trotz der nur mäßigen Organisation, haben die FahrradkurierInnen doch schon Errungenschaften zu feiern. Wie schon erwähnt, gibt es seit 2020 einen Kollektivvertrag für FahrradbotInnen und der Gewerkschaft „vida“ ist es gelungen, einen 50-prozentigen Sonntagszuschlag auszuhandeln. Manchmal sind es auch nur ganz simple Dinge, die sich die RiderInnen wünschen, wie eine angemessene Winterausrüstung und Beschränkung der Arbeitszeiten bei extremen Wetterbedingungen.

Auch wenn es stetige Verbesserungen gibt, wird es den BotInnen immer noch schwer gemacht, Gewerkschaften zu gründen und für ihre Rechte zu kämpfen. ExpertInnen meinen, es wäre an der Zeit, europäische Richtlinien für die Regulierung der Online-Plattform-Arbeit festzulegen.

Ob es angesichts dieser Arbeitsbedingungen überhaupt ethisch korrekt ist, über Lieferando und Co. zu bestellen, sei dahingestellt. Auf jeden Fall sollte man über die alltäglichen Strapazen der RiderInnen Bescheid wissen und Verständnis zeigen, wenn das Essen einmal länger auf sich warten lässt. Ein angemessenes Trinkgeld drückt Wertschätzung und Dankbarkeit aus. Im Weiteren kann man hoffen, dass die Proteste der RiderInnen Früchte tragen und weiterhin Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erzielt werden können.

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