Ausbeutung von Pflegekräften

Österreich wird älter und die Pflege im eigenen Heim immer attraktiver. Aktuelle Lockdown – und Quarantänebestimmungen isolieren zusätzlich. Eine 24 Stunden Pflege soll Erleichterung schaffen. Die Pflegekraft soll nicht nur bügeln, putzen und Medikamente verabreichen, sie ist auch oft sozialer Ansprechpartner und Seelenklo. Doch was, wenn die Chemie zwischen Betreuer und Betreutem nicht stimmt? Wenn die Sprache zur Barriere und die Ansprüche auf beiden Seiten zum Konfliktherd werden? Leidtragende sind dann oft die Pflegekräfte selbst, meistens Frauen aus Osteuropa, die aufgrund fehlender Perspektive im Heimatland mehr und mehr in Abhängigkeit zu Hintermännern, Vermittlungsagenturen und Angehörigen geraten.

SITUATION IN ÖSTERREICH

Pflegepersonal, Supermarktkassierer und Lieferboten auf Rädern kommen besonders in Corona Zeiten an die Grenzen ihres allerorts applaudierten Helden-Daseins. Oft zu Hungerlöhnen angestellt, kämpfen sie sich angesichts einer immer steigenden Arbeitslosenrate und unsicheren Verhältnissen am Arbeitsmarkt tapfer durch Spital und Haushalt, Tiefkühlregal und Stoßzeiten. Eine Überforderung der Arbeitskraft aufgrund der immer größer werdenden Nachfrage an covid-gerechter Betreuung der Gesellschaft.
Einer noch dazu alternden Gesellschaft, die aus Angst vor einer Infektion vermehrt in den eigenen vier Wänden ausharrt – virensicher aber doch isoliert. Den Pflegebedürftigen unter ihnen soll mit einer 24-Stunden Betreuung, meistens aus dem Ausland, Abhilfe geschaffen werden. In Österreich gibt es über 900 Agenturen, die rund 60.000 Personalbetreuer an Pflegebedürftige in Österreich vermitteln. Sie alle sind in Österreich sozialversichert, wie hoch die entsprechende Bezahlung ist entscheiden die Agenturen in Orientierung an der Bereitschaft der Angehörigen selbst.

VERMITTLUNG MIT RISIKO

Und obwohl das österreichische System von Vermittlungsagenturen in Deutschland und der Schweiz hoch angesehen ist, sind besagte Agenturen, das entsprechende Pflegepersonal und auch die Angehörigen hierzulande oft überfordert angesichts divergierender Erwartungshaltungen: Wenn die Chemie zwischen Betreuer und Betreuten nicht stimmt, sehen
sich die Agenturen der Rolle als Mediator oft nicht gewachsen. Die damit einhergehende Unzufriedenheit der Betreuten und Angehörigen fällt oft zu Lasten der Dienstleister, die, wenn es die Umstände in ihren eigenen Herkunftsländern zuließen, erst gar nicht gekommen wären.
„Agenturen können eine hohe Schutzfunktion haben, wo Haushalte sich extrem ausbeuterisch verhalten, aber es gibt auch solche, die selber ausbeuten“, gibt Dr. Brigitte Aulenbacher, Soziologin an der Johannes-Kepler-Universität Linz zu bedenken.

UNTER EINEM DACH

Das Kernproblem einer 24-Stunden-Pflege ist jenes, dass Pfleger und Gepflegter denselben Haushalt teilen müssen, aus logistischen und oder finanziellen Gründen. Und da Betreuungskräfte zusätzlich zwischen Ländern pendeln müssen, weil zu Hause ohne Perspektive, leben sie nun auf wochenlang mit den Betreuten zusammen und sind dementsprechend auch permanent verfügbar. „Am Arbeitsort zu leben, sich in die Intimität der Haushaltsordnung reibungslos einzufügen und dabei hoch beansprucht zu sein, wirkt guten Arbeitsbedingungen entgegen“, fasst Aulenbacher das Problem zusammen. “Wir schlafen, wo
die alten Menschen schlafen, wir essen, wo sie essen. Wir bereiten Essen zu, räumen auf, putzen, waschen, bügeln, wechseln Windeln, verabreichen Medikamente, gehen mit ihnen spazieren und sprechen mit ihnen. Es gibt kein Entkommen,” erzählte eine bulgarische Pflegerin, die sich in Deutschland mit einer Klage vor Gericht wehrte, da sie trotz eines 30- Stunden Vertrags rund um die Uhr verfügbar sein musste. Und das bei denkbar schlechter Bezahlung.

LEGALISIERTES GEWERBE MIT LÜCKEN

Die betroffenen Pflegekräfte sind in Österreich immerhin in der Wirtschaftskammer vertreten und sozialversichert. Sollten sie zumindest. In der Schweiz, wo es keine sozialstaatliche Förderung der 24-Stunden-Betreuung gibt, muss die Pflegekraft vom Haushalt, in dem sie arbeitet, angestellt werden. In Deutschland sind sie wie auch in Österreich formal selbstständig
und im Idealfall-in ihrem Heimatland versichert.
Bis ins Jahr 2006, war die Arbeit von ausländischen Pflegekräften gesetzlich nicht reguliert. Irreguläre Arbeitsverhältnisse hielten Tür und Tor für Ausbeutungsversuche offen. Vereinzelt wurden Auftraggeber nicht gemeldeten Betreuungspersonals angezeigt. Und als dann herauskam, dass selbst die Schwiegermutter vom damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel von einer slowakischen Pflegerin betreut wurde, konnte diese Passiv-Politik nicht mehr länger aufrechterhalten werden und eine öffentliche Debatte brach aus. Die Folge war eine Legalisierung der 24-Stunden Pflege als Personenbetreuungsgewerbe.
Damit verbunden sind nun soziale Rechte, die in einem normalen Arbeitsverhältnis ebenfalls geltend gemacht werden: Geregelte Arbeitszeiten, ein Anspruch auf ein Mindesteinkommen nach Kollektivvertrag, Urlaubsanspruch, Absicherung durch eine Sozialversicherung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitslosenversicherung etc.

DIE REALITÄT

Wie sieht die Umsetzung dieser Sozialleistungen allerdings in der Realität aus? Viele Pflegehelfer aus Osteuropa kommen durch Hintermänner mit wenig Deutschkenntnissen ins Land.
Da sie offiziell selbstständig sind, müssen sie sich dementsprechend bei Behörde und Wirtschaftskammer anmelden. Da nun diese Pflegehelfer, meistens sind es Frauen, wie gesagt kaum Deutsch sprechen, erledigen das die Vermittler oder der jeweilige Haushalt. Ob überhaupt
und wie gewissenhaft das geschieht ist schwer zu kontrollieren. Das Risiko liegt dann bei den Pflegerinnen selbst. Sehr oft passiert die Anmeldung gar nicht oder werden viel zu kleine Beträge angegeben, typischer Weise nach der Mindestbeitragsgrundlage von 537,78 Euro im Monat.
Geschieht die Anmeldung nicht oder wie gesagt nur lückenhaft, sind die Frauen mit einer 7 Tage Woche oft nicht versichert, haben keinen Urlaubsanspruch und arbeiten in der Regel weit über den kollektivvertraglich gesicherten Mindestlohn hinaus, ohne einer entsprechenden Bezahlung.

WIE MACHT MAN’S BESSER?

Wo zwei Fremde miteinander leben, meistens aus unterschiedlichem sozialem und kulturellem Umfeld, herrscht ohne Frage ein großes Konfliktpotenzial. Doch wie diesem Dilemma entkommen? Wie den Bedarf an Betreuung ohne Risiko von Ausbeutung und oder Isolation decken? Ein Gegenmodell sieht Dr. Aulenbacher in mehr mobilen Diensten, mehr Krankenpflegepersonal in der Gemeinde oder betreute Wohngemeinschaften in der Nähe des Wohnortes mit mehreren Pflegerinnen und Pflegern sowie zu Pflegenden.