Klaasohm: Mit Hörnern auf Frauenjagd

Jedes Jahr in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember wird auf der Nordinsel Borkum der Klaasohm gefeiert. Doch anders als bei vielen anderen Nikolausbräuchen gibt es bei diesem ostfriesischen Fest weder Lebkuchen, Äpfel noch Nüsse. Stattdessen gehen kostümierte junge Männer, bewaffnet mit Kuhhörnern, auf die Frauenjagd. An diesem Abend sind Außenstehende nicht erwünscht – Kamera-Teams erst recht nicht. Es ist ein Ereignis, das nur für die Einheimischen bestimmt zu sein scheint. Doch was verbirgt sich hinter dieser Tradition?

Das Klaasohm-Fest hat auf der Nordinsel Borkum eine lange Tradition und findet jedes Jahr am Abend des 5. Dezember statt. Seit rund 200 Jahren ziehen an diesem Abend sechs junge Männer, verkleidet als “Klaasohm”, und ein als “Wiefke” (“Weibchen”) verkleideter Mann durch die Straßen der Insel.

Die Auswahl der Männer, die als Klaasohms auftreten dürfen, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis und wird ihnen selbst erst kurz vor Beginn mitgeteilt. Die Klaasohms werden getrennt an unterschiedlichen Orten eingekleidet, bevor sie sich unter lautem Getöse mit ihren Begleitern auf den Weg machen.

Ihr Ziel ist die große Betriebshalle der Borkumer Kleinbahn, wo ein zentraler Teil des Rituals stattfindet: Auf einer Bühne, unter Ausschluss von Frauen und Fremden (nur gebürtige männliche Insulaner dürfen teilnehmen), werden in einem symbolischen Kampf die Rollenverteilung und die Führung für das Jahr festgelegt.

Anschließend ziehen die Klaasohms, begleitet von großer Anteilnahme der Bevölkerung, durch die Insel. 

Im November des vergangenen Jahres sorgte jedoch eine Reportage des ARD-Magazins Panorama und des NDR-Formats STRG_F für großen Wirbel. Denn sie veröffentlichten heimlich-gefilmte Videoaufnahmen von Klaasohms, die Kuhhörner mit sich trugen, um jungen Frauen immer wieder und mit voller Wucht auf das Gesäß zu schlagen. Ob die Frauen das möchten oder nicht ist irrelevant. Wehren sie sich, werden sie von anderen Männern festgehalten. 

Zudem zeigt die Reportage Interviews mit Borkumerinnen, die anonym von erheblichen Schmerzen, Blutergüssen und einem Gefühl der Erniedrigung berichteten. “Es ist beklemmend, beschämend, erdrückend”, schildert eine Betroffene. Zwar bekäme man nach den wiederholten Schlägen ein kleines Stück “Moppe”, eine Art Lebkuchen, aber ob es einen wirklich gut geht, beziehungsweise man verletzt wurde interessiert niemanden. Auch ein ehemaliger Klaasohm wurde zu der umstrittenen Tradition befragt: “Das war wie im Rausch. Man läuft durch, man ist der Größte an dem Abend”. Zudem sagt er, dass man am nächsten Tag “stolz” gewesen sei, “wenn man die Mädels gesehen hat und die gehumpelt haben”.  Auch er möchte anonym bleiben. Offen traut sich keiner zu sprechen, ein „Klima der Angst“ solle auf der Insel herrschen: Die Betroffenen befürchten gesellschaftliche Ächtung, wenn sie die Tradition öffentlich kritisieren. 

Polizei, Bürgermeister und die Gleichstellungsbeauftragte auf Borkum verweigerten zunächst jegliche Stellungnahme gegenüber der Presse. Dabei war die als Brauchtum verstandene Gewalt schon lange bekannt. Bereits 1990 berichteten die Tagesthemen über diese Tradition – damals wurde sogar eine Reporterin Opfer von Schlägen.

Nach massiver Kritik kündigte der Verein Borkumer Jungens, der das Fest seit 1830 organisiert, an, künftig auf den Brauch des Schlagens zu verzichten. Der Vereinsvorsitzende Maxi Rau versicherte: “Was ich Ihnen auf jeden Fall versichern kann, ist, dass wir Gewalt gegen Frauen ab jetzt nicht mehr tolerieren”.

Trotz scheinbarer Einsicht wird auf der Webseite der Stadt Borkum betont, dass das Schlagen nie den Kern des Festes ausgemacht habe und in den letzten Jahren nur noch selten vorgekommen sei. Es handle sich bei den im Bericht gezeigten Aufnahmen um “vereinzelte Ausnahmefälle”. Zudem solle die Reportage “ein verzerrtes Bild des Festes” zeichnen und “zahlreiche journalistische Ungenauigkeiten” beinhalten. Zudem hätte man nie etwas vertuschen wollen, sondern das Fest lediglich “vor einer Kommerzialisierung” schützen wollen. 

Der Brauch soll laut mehreren Quellen auf die Zeit der Walfänger auf der Insel zurückgehen. Die Männer seien traditionell am Jahresende nach mehreren Monaten auf See zurück auf die Insel gekommen und hätten mit dem Brauch klargemacht, wer nun wieder der “Mann” im Hause sei. 

Auch am Dezember 2024 waren wieder Reporter beim Klaasohm-Fest anwesend, doch dieses Mal, soll alles ruhig verlaufen worden sein: “Wir konnten keine Körperverletzungsdelikte oder körperliche Übergriffe feststellen, die mit dem diesjährigen Klaasohm-Fest in Verbindung stehen”, sagte Malte Hagspihl, Sprecher der Polizeidirektion Osnabrück. 

Rund 500 bis 600 Menschen nahmen teil, und Bürgermeister Jürgen Akkerman äußerte sich zufrieden: “Die Borkumerinnen und Borkumer haben heute ein Zeichen gesetzt, wie sehr sie dieses Fest lieben. Es gab eine große Beteiligung”. 

Ob sich diese positive Entwicklung dauerhaft hält, bleibt abzuwarten. 

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