Tatort Klassenzimmer – Kindesmissbrauch an der Odenwaldschule

Vor einigen Jahren hat die einst angesehene Eliteschule in Deutschland ihre Tore für immer geschlossen. Der Grund: Zwei ehemalige Schüler, mittlerweile längst erwachsen, gingen mit den schrecklichen Erfahrungen ihrer Schulzeit an die Öffentlichkeit. Ihre Schilderungen über sexuellen Missbrauch waren nur der Anfang eines erschütternden Skandals, der eine lange Liste weiterer Opfer und Täter ans Licht brachte.

Alles begann mit zwei mutigen ehemaligen Schülern, Andreas Huckele und Thorsten Wiest, die 1998 einen Brief an den damaligen Schulleiter der Odenwaldschule schickten. Darin beschuldigten sie den ehemaligen Direktor Gerold Becker, sie während ihrer Schulzeit von 1980 bis 1988 sexuell missbraucht zu haben. Wie sich später herausstellte, waren sie nicht die einzigen Opfer – und der Direktor nicht der einzige Täter.

Die Internatsschule versuchte, ihren guten Ruf zu schützen und die Sache unter den Teppich zu kehren, was ihr zunächst auch gelang. Selbst ein Artikel in der Frankfurter Rundschau blieb ohne Folgen. Erst mehr als zehn Jahre später, als die Medien erneut über die schrecklichen Vorwürfe berichteten, erregte das Thema großes Aufsehen. Dann begann endlich die systematische Aufarbeitung.

Laut einer Untersuchung wurden zwischen 1960 und 2000 mehr als 500, möglicherweise sogar bis zu 1000 Schülerinnen und Schüler Opfer sexualisierter Gewalt.

Die ehemaligen Schüler und Schülerinnen berichteten von Lehrern und Lehrerinnen, die sie regelmäßig in ihren Zimmern besuchten oder sie auf ihre Zimmer „bestellten“. Was dort geschah, kann man sich denken. Die Pädagogen gaben den Schülern auch Alkohol und andere Drogen. Wenn sie sich ihren Eltern anvertrauten, stellte sie der Schulleiter als Lügner dar und drohte mit Schulverweis.

Die ausgewerteten Akten und Daten ermöglichten Rückschlüsse auf mindestens 24 Täter und Täterinnen unter den pädagogischen und technischen Mitarbeitern der Odenwaldschule. Entgegen verbreiteter Annahmen waren die Täter an dem Eliteinternat nicht ausschließlich Männer. Die Unterlagen deuten darauf hin, dass es mindestens fünf Täterinnen gab.

Die Odenwaldschule in Deutschland galt als ein Vorzeigemodell für innovative Bildungsansätze. Sie nahm sich zum Ziel, Schülerinnen und Schüler in einem offenen, demokratischen Umfeld zu erziehen, das Kreativität und Selbstständigkeit fördern sollte. Sie war also besonders offen gegenüber neuen pädagogischen Modeerscheinungen. Die Schule nahm großzügig Kinder aus allen sozialen Schichten auf und machte deren Eltern Hoffnung auf beste Bildung und erfolgreiche Karrieren. Die Odenwaldschule hatte als Eliteschule ein eigenes System geschaffen und Außenstehende wagten nicht, es zu hinterfragen.

In einem vergangenen Artikel von Hope For The Future wurden die problematischen Ansichten von Helmut Kentler beleuchtet. Der angesehene und einflussreiche Psychologe und Sexualwissenschaftler bewirkte in Deutschland ab den 1960er Jahren ein Umdenken. Er vertrat die Meinung, eine „zärtliche Fürsorge“ zu Kindern dürfe sich sexuell äußern. Eltern und Erziehungsberechtigte sollten Kinder in praktischer Art und Weise an Sexualität heranführen. Sein Buch enthielt unter anderem praktische Übungen für sexuelle Bildung an Schulen. Zahlreiche Forscher, Künstler, Priester und Pädagogen teilten Kentlers Ansichten, was fatale Folgen für Kinder und Jugendliche in dieser Zeit hatte. An der Odenwaldschule wurde das Konzept dieser neuartigen „Sexualerziehung“ umgesetzt.

Gerold Becker hatte keine pädagogischen Qualifikationen, dennoch leitete er die Schule von 1972 bis 1985. Er war Theologe und verstand es, die moderne Pädagogik, die auf Nähe und Kommunikation, Augenhöhe und Kreativität setzte, zu verkaufen. Er war charmant, Eltern, Schülerinnen und Schüler schenkten ihm großes Vertrauen. Lehrerinnen und Lehrer, die ihm kritisch gegenüberstanden, benachteiligte und mobbte er, bis er sie loswurde. Durch seine Autorität hatte er die Möglichkeit, zu tun, was immer er wollte. Er schaffte einen Lehrkörper aus Gleichgesinnten. Die Odenwaldschule sei ein „Nest von Pädophilen“  gewesen, die sich selbst als fürsorgliche, hingebungsvolle Pädagoginnen und Pädagogen verstanden.

Einst Vorreiter der Reformpädagogik, hat sich die Schule von den aufgedeckten Skandalen nicht erholt, sie musste Insolvenz anmelden. Der Betrieb der Privatschule endete 2015 und die Gebäude werden jetzt, soweit bekannt, als Wohn- und Ferienpark genutzt.

„Die Odenwaldschule konnte keine Zukunft haben, da sie sich nicht mit der Aufarbeitung der Verbrechen auseinandersetzte“, lautet das Urteil der Forscher. Die Schulleitung habe stets versucht, die Vorfälle intern zu klären. Die Aufarbeitung der Ereignisse hätte viel früher geschehen müssen, zu lange wurde weggeschaut.

Die Ereignisse haben nicht nur das Leben der Betroffenen geprägt, sondern auch einen wichtigen Diskurs über Kinderschutz und die Verantwortung von Lehrkräften in Bildungseinrichtungen angestoßen.

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