Die „brasilianische Wunderbeere“ wird mit hohen Konzentrationen von Antioxidantien beworben. Sie soll dem Alterungsprozess entgegenwirken, bei der Gewichtsabnahme unterstützen und Krankheiten heilen. Die Palmen wachsen wild, daher wird die Beere als ökologisch und regenwaldschonend vermarktet. Aber: Für die lebensgefährliche Ernte sind hauptsächlich Kinder zuständig.
Das „Superfood“ Açaíbeere
Die dunkelviolette Beere findet man als loses Pulver und in Kapseln, in Fitness-Bowls, Diätgetränken und in Energieriegeln. Aufgrund ihres Gehalts an Antioxidantien und Fettsäuren soll sie freie Radikale unschädlich machen und Entzündungsprozesse regulieren, bei der Gewichtsabnahme oder Potenzproblemen unterstützen und den klassischen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes Typ II, Herz-Kreislauferkrankungen oder auch Krebs entgegenwirken. Bislang gibt es allerdings keine Studie, die all dies eindeutig belegen könnte. Auch, da sich die Inhaltsstoffe der zahlreichen Präparate je nach Herstellungsverfahren stark unterscheiden können. In manchen Produkten wurden hingegen gesundheitsschädliche Mineralölrückstände nachgewiesen.
Bis zu 25 Meter hoch
Die Beeren wachsen in den Wipfeln der Kohlpalmen, auch Açaípalmen genannt, die großteils in den brasilianischen Bundesstaaten Amapá und Pará im Amazonasdelta heimisch sind. Seit Jahrhunderten dienen sie den indigenen Ureinwohnern als Grundnahrungsmittel, auch heute ernähren sich die Bewohner des Deltas von dem eher herb schmeckenden Fruchtbrei.
Die Palmen erreichen eine Höhe von 20-25 Metern. Da die Stämme aber relativ dünn sind, können sie unter zu hohem Gewicht brechen. Daher werden Kinder zur Ernte eingesetzt, oft schon mit 6 Jahren.
Lebensgefährliche Erntebedingungen
Geklettert wird nur mittels einer um die Füße gespannten Stoffschlaufe, von der sich der Name „Peconheiro“ ableitet, in der Hand eine Machete. Um nicht immer wieder erneut hoch- und runterklettern zu müssen, springen die Pflücker manchmal auch von Wipfel zu Wipfel, all dies ohne Sicherheitsvorkehrungen. Dabei kommt es naturgemäß häufig zu Stürzen – werden diese überlebt, dann oft nur mit gebrochenen oder gelähmten Gliedmaßen. Auch Bisse von tropischen Spinnen und Schlangen verlaufen oft tödlich, da medizinische Einrichtungen meist mehrere Stunden entfernt sind. Dazu kommt die Gefahr von Schnittverletzungen durch die Macheten oder aufgerissene Füße von den Palmstämmen. Um einen finanziellen Gewinn zu erreichen, müssen täglich 30 Palmen abgeerntet werden, dies ergibt ungefähr 6 mit Açaíbeeren gefüllte Körbe.
Da der Schulbesuch ein Kriterium für den Erhalt der staatlichen Familiensozialhilfe ist, müssen die Kinder nach dem Pflücken noch ihrer Bildung nachgehen. Meist nehmen sie nur unregelmäßig daran teil oder sind völlig übermüdet, was den Lernerfolg und somit ihre Berufsaussichten schmälert – ein Teufelskreis! Manche Schulen passen den Ferienplan sogar an die Erntesaison an.
Staatsanwaltschaft und Sozialarbeiter, die gegen die Kinderarbeit vorgehen wollen, fühlen sich machtlos. Da sich Kontrollen rasch herumsprechen, verlaufen sie häufig ins Leere. Generell herrscht wenig Unrechtsbewusstsein, da diese Form der Kinderarbeit als über Generationen weitergegebene Tradition angesehen wird und die Familien ihre finanzielle Notlage ein bisschen verbessern können.
Wer profitiert wirklich?
Innerhalb von 48 Stunden verdirbt die Ernte, also muss sie schnell verarbeitet werden. Die Frucht wird vom Samen getrennt, der ungefähr 95% der Beere ausmacht, anschließend püriert und tiefgekühlt. Aufgrund des Zeitdrucks bleibt kein Raum für Preisverhandlungen und die Pflücker bzw. deren Familien müssen ihre Açaíbeeren für das nächstbeste Angebot verkaufen. Obwohl die Ernte den wichtigsten und vor allem gefährlichsten Arbeitsschritt in der Produktionskette darstellt, verdienen sie am wenigsten, umgerechnet 45 Cent pro Kilo Beeren. Eine Açaíbeeren-Bowl, also mit anderen Zutaten gemischt, kostet uns Endverbraucher hingegen 10-15 Euro.
In Pará gibt es beispielsweise ca. 118.000 kleine, familiär geführte Erntefarmen, allein in der Region Igarapé-Miri verdienen ca. 80% der Einwohner Geld mit dem „Superfood“. Über 100 LKW transportieren die Beeren täglich zu einer der 8 Fabriken, in denen sie weiterverarbeitet werden. Um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, wird ein neuer Hafen gebaut.
Die Exportzahlen sind von 2011 bis 2020 um 14.000% gestiegen, bis 2025 erwartet man einen Anstieg des Marktwerts auf 2,1 Milliarden US-Dollar. Dies schließt China als möglichen neuen Markt noch nicht mit ein, aktuell sind die Hauptabnehmer des „Superfoods“ Europa und Nordamerika. Angesichts der nicht nachgewiesenen Wirkung und der explodierenden Zahlen stellt sich die Frage, wer tatsächlich von diesem „Superfood“ profitiert.
Regionale Produkte schneiden besser ab
Das US-Arbeitsministerium hat die Açaíbeere inzwischen auf die Liste der durch Kinderarbeit erzeugten Güter gesetzt. Um die Peconheiros besser schützen zu können, hofft man weiters auf die Aufmerksamkeit der Endverbraucher. Auf deren genaueren Blick in Richtung Produktionskette und tatsächlichen Gesundheitsvorteil. Aber vor allem auf das Zurückgreifen auf heimische Produkte mit tatsächlich nachgewiesener Wirkung: Denn Rotkraut, Heidelbeeren, Holunderbeeren oder blaue Trauben haben nicht nur einen ähnlich hohen Gehalt an Antioxidantien, teilweise liegt dieser sogar weit höher.
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